von Sharon Berkal
Vor einigen Wochen wurde ich zu einem moderierten Dinner der KniggeAkademie in ein feines Berliner Restaurant eingeladen. In kleiner Runde wollte uns Gastgeberin und Knigge-Trainerin Chiara Meidinger in die Welt der Tischetikette und guten Manieren einführen. Mit jedem Gang des Menüs sollte unser Benehmen feiner geschult werden. Ich war sofort Feuer und Flamme und bedankte mich höflichst für die Einladung. Denn bei allem Reichtum, Überfluss und unbegrenzten Möglichkeiten (oder vielleicht gerade deswegen) gilt eine Sache mehr denn je: Guten Stil kann man nicht kaufen! Und „guter Stil“ bedeutet bei weitem mehr als ein schickes Outfit. Nicht selten bleiben mir Menschen durch ihr (gutes) Benehmen und nicht durch ihre schönen Schuhe in Erinnerung. In schwierigen Zeiten und in der digitalen Welt zeigt sich das wahre Gesicht eines Menschen. Für welches Gesicht entscheiden Sie sich?
Vielleicht kann ich Sie mit diesem kleinen Exkurs inspirieren: Lassen Sie uns das Ende des Jahres nutzen, den (Umgangs-)Ton für das neue Jahr zu formen. Es kostet uns nur Aufmerksamkeit und Bewusstsein.
Das Knigge-Dinner entwickelte sich übrigens zu einem ganz besonders schönen Abend mit vielen Hintergründen und kleinen Anekdoten, die im Gedächtnis blieben. Natürlich wird man beim nächsten Abendessen mit Freunden das Gelernte modellieren, aber man sollte die Regeln immer beherrschen, bevor man sie bricht.
Unsere charmante Gastgeberin, Chiara Meidinger, stand mir im Anschluss noch für ein paar Fragen zur Verfügung.
SHARON BERKAL: Wie steht es mit den Manieren in Deutschland?
CHIARA MEIDINGER: Das Thema ist in den letzten Jahren wieder stark im Kommen. Gegenseitige Rücksichtnahme und Empathie sind besonders während der Pandemie wieder mehr in den Fokus gerückt. Auch im Berufsalltag und in Bewerbungsprozessen punktet man heute mit Business-Etikette, Wissen und guten Manieren.
SB: Warum ist Etikette in Deutschland eher negativ konnotiert?
CM: Ist sie das? Mein Eindruck ist vielmehr, dass sich viele Menschen wieder mehr Benimm wünschen. Unsere Gesellschaft und unser Miteinander verrohen mehr und mehr. Es etabliert sich eine Duz-Kultur, in der durch die Nähe auch die Hürde für Unfreundlichkeit niedriger ist. Literatur über Etikette, wie das vieldiskutierte Werk “Das Buch der Etikette” von Erica Pappritz und Karlheinz Graudenz haben sicherlich auch einen Beitrag geleistet. In dem in den 1950er Jahren erschienenen Buch wird die Etikette sehr veraltet und streng dargestellt. (Anmerkung der Redaktion: Erica Pappritz war unter Konrad Adenauer stellvertretende Protokollchefin im Auswärtigen Amt. Da sie in ähnlicher Stellung auch schon für das Dritte Reich und die NSDAP tätig war, kann man sich vorstellen, dass ein zehn Jahre nach Kriegsende von ihr geschriebenes Buch noch vor alter Tonalität strotzte. Das Motto des Buches „Wo wir sind, ist oben" stößt vielen Deutschen bis heute zurecht auf.)
SB: Die drei wichtigsten Regeln im Umgang mit Menschen?
CM: Behandle jeden Menschen mit Wertschätzung. Begegne jedem Menschen mit Empathie. Übe Dich in Nächstenliebe.
SB: Wie hat sich unser Umgang miteinander seit dem Internet und Social Media zum Guten wie zum Schlechten verändert?
CM: In virtuellen Räumen fällt es so manchem Pöbler leichter, seine Meinung kund zu tun, da hier die Möglichkeit besteht, gesichtslos – unter einem Pseudonym – andere wenig wertschätzend zu behandeln. Auch der in den letzten Jahren vermehrt aufkommende Trend zur so genannten Cancel-Culture wird durch das Internet begünstigt.
Foto: Royal Afternoon Tea mit Kolleginnen der Deutschen Knigge-Gesellschaft im Excelsior Ernst Hotel in Köln
Chiara Meidinger ist seit März 2020 Mitglied des Vorstandes der Deutschen-Knigge-Gesellschaft e.V. und gibt als "Miss Mindful Manners" Etikette-Seminare für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Berlin, München und online.
Hauptberuflich arbeitet sie bei der Von Hoyos Beratungsgesellschaft als Chief Communications Officer und Trainerin für Business-Etikette, zu der seit 01.01.2020 auch die KniggeAkademie gehört.
SB: Warum ist Knigge deiner Meinung nach nicht aus der Zeit gefallen?
CM: Bei Knigge geht es entgegen der Annahme vieler Menschen um Wertschätzung und Rücksichtnahme in verschiedenen Kontexten. Das ist und bleibt immer zeitgemäß. Knigge schreibt in seinem 1788 erschienen Hauptwerk: „Wenn du dich der Gesellschaft nicht entbehren kannst, unterwerfe dich ihren Bräuchen.“ Das ist nach wie vor zeitgemäß. So verhält es sich mit dem Großteil von Freiherr Knigges universellen Empfehlungen.
SB: Die meisten Menschen denken, Knigge sei heute nicht mehr aktuell. Wie kann man da kontern?
CM: In erster Linie hilft es meistens, auf den Titel von Knigges bekanntesten Werk hinzuweisen: "Über den Umgang mit Menschen". Und dann folgt die Erläuterung, dass Knigge nicht mehr getan hat, als die Gepflogenheiten im Umgang mit unseren Mitmenschen zu erklären – gegliedert nach Personengruppen, Berufsbildern, Verwandtheitsgraden und zwischenmenschlichen Beziehungen. Da wird dann meistens auch der größte Zweifler stumm. Im Grunde war Knigges Werk das erste Sachbuch zur Selbsthilfe, sozusagen ein Vorläufer von Dale Carnegies „Wie man Freunde gewinnt“.
Mehr zu CHIARA MEIDINGER hier:
Buchtipp und das perfekte Weihnachtsgeschenk dazu:
Nebst “Über den Umgang von Menschen” von Knigge selbst, das Buch “Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen” von Axel Hacke.
Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge wurde 1752 in der Nähe von Hannover geboren. Früh verwaist und mit einem Erbe aus Schulden auf den Schultern, war er gezwungen, Stellungen an verschiedenen Höfen anzunehmen und für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Bekannt wurde er vor allem durch seine Schrift "Über den Umgang mit Menschen” von 1788. Dieses Werk ist aber nicht – wie irrtümlich gerne angenommen – ein Benimmratgeber, sondern eher eine soziologische Abhandlung über zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen. Das Missverständnis über das Buch verstärkte den Verlag, indem er das Werk nach dem Tode von Knigge um Benimmregeln erweiterte. In jeder neuen Auflage kamen neue Regeln hinzu, so dass man Knigge heute in erster Linie als Regelwerk für Etikette versteht.