BAUKUNST: ZECHE ZOLLVEREIN

UNESCO-Welterbe im Ruhrgebiet.

von Thomas Krüger / Ticket B

Seit 2001 ist die Zeche Zollverein XII gemeinsam mit der benachbarten Kokerei Weltkulturerbe und steht damit auf einer Stufe mit den Pyramiden von Gizeh oder dem Schloss Neuschwanstein. Wer von den Bergmännern des Ruhrgebiets hätte wohl noch vor 40 Jahren gedacht, dass die größte Kohleförderanlage Europas wenige Jahre später im Jahre 1986 kurzerhand stillgelegt wurde – und dann den Weg zu einer der großen Sehenswürdigkeiten der Technikgeschichte weltweit werden würde.

 

Niemand hätte für möglich gehalten, dass so eine große technische Anlage einmal vollständig für kulturelle Nutzungen zur Verfügung steht. Trotz der architektonischen Besonderheiten, die die Architekten Schupp und Kremmer in den zwanziger Jahren unter dem Einfluss der Bauhausarchitektur entwarfen, war es hauptsächlich ein Konglomerat aus komplexen Riesenmaschinen, Förderbändern, Filtern, Silos, Rüttel- sowie Transport- und Baggeranlagen.

Diesen verliehen die Architekten eine fast barocke Ordnung: mit Sichtachsen, Freianlagen und großen Ziegelschachteln, die die Zechenanlagen wie einen Schlosshof inszenierten.

 

Dabei war es keine der vielen Zechen, wo massenhaft Arbeiter einfuhren; sondern es war eine weitgehend automatisierte Förderanlage, wo die Kohle in nie gekannten Mengen aus der Tiefe geholt, sortiert und gewaschen wurde, um sie dann für die benachbarten Stahlkocher weiterzuverarbeiten. Im Vergleich zu konventionellen Zechen arbeiteten hier nur wenige Menschen. Es drängten sich keine Heerscharen von Bergleuten an den Werkstoren, den Waschkauen oder Lohnhallen. Hier herrschte der Materialtransport. Die Faszination der komplexen Maschinenwelt der Kohleförderung lässt sich bei Besuchen oder Führungen heute noch erleben, aber viel bedeutsamer ist das kulturelle Leben, dass sich neben den vorbildlich erhalten technischen Einrichtungen einnisten konnte.


Dank vieler engagierter Menschen ist es gelungen, Schritt für Schritt neue Nutzungen zu etablieren. Das Ruhrlandmuseum und das Design-Museum machten den Anfang. Die Stararchitekten Rem Koolhaas (Kohlenwäsche) und Norman Foster (red dot design museum) wurden engagiert und setzten gemeinsam mit dem Essener Architekten Heinrich Böll ihre neuen Implantate behutsam und doch spektakulär um. Die schier endlose, rot beleuchtete Rolltreppe, die hinauf in die Kohlenwäsche führt, ist solch ein neues Zeichen, das mit Erinnerungen an glühende Kohle (Die es hier nie zu sehen gab.) spielt und den sachlichen Bauten neue Raumerlebnisse abgewinnt.




Die Historie des Zollvereins:

1847 ließ der Unternehmer und Industriepionier Franz Haniel im Essener Norden den ersten Schacht abteufen. Wurden im ersten Jahr der Steinkohlenförderung 1851 noch 13.000 Tonnen Kohle gefördert, waren es 1890 bereits eine Million Tonnen. Die Fettkohlenvorräte im Essener Norden waren groß, sodass neben der Gründerschachtanlage drei weitere Anlagen mit insgesamt acht Schächten errichtet wurden.

 

Als sich am 1. Februar 1932 zum ersten Mal die Räder am Fördergerüst über der neuen Schachthalle XII drehten, ging ein industrieller Hochleistungskomplex mit weitgehend automatisierten Arbeitsabläufen in Betrieb, der sich an dem Prinzip des aus Amerika importierten Fordismus orientierte – also der Fließbandproduktion. Das Bergwerk rund um den 55 Meter hohen Doppelbock galt von nun an als das größte und leistungsfähigste weltweit. 1972 erreichte Schacht XII seine endgültige Tiefe von circa 1.000 Metern. Tag für Tag wurden mehr als 23.000 Tonnen Rohkohle ans Tageslicht geholt – eine Förderleistung, die der vierfachen Menge einer durchschnittlichen Revierzeche entsprach. Während der gesamten Betriebszeit wurden zwischen 1851 und 1986 insgesamt 240 Millionen Tonnen Kohle abgebaut. Über und unter Tage waren bis zu 8.000 Bergleute im Schichtwechsel beschäftigt, insgesamt haben bis zur Schließung der Zeche Zollverein 1986 mehr als 600.000 Menschen auf Zollverein gearbeitet.

 

Die Kokerei Zollverein wurde am 12. September 1961 in Betrieb genommen. Auch die Kokerei schuf Produktionskapazitäten der Superlative. Nach ihrer Erweiterung in den 1970er Jahren wurden auf der sogenannten „schwarzen Seite“ in 304 Öfen bei 1.250 Grad täglich 10.000 Tonnen Kohle zu 8.600 Tonnen Koks „gebacken“. Die dabei entstehenden Gase wurden auf der „weißen Seite“ zu Ammoniak, Rohbenzol und Teer weiterverarbeitet. In Spitzenzeiten hatte die Kokerei 1.000 Mitarbeiter. Als letzte noch aktive Zollverein-Produktionsanlage wurde sie 1993 stillgelegt.

 

Am 23. Dezember 1986 schloss die Zeche Zollverein als letzte von rund 290 Zechen in Essen, der ehemals größten Bergbaustadt Europas. Bereits am 16. Dezember 1986 war das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt und auf diese Weise vor dem Abriss gerettet worden. 20001 folgte die Ernennung zum UNESCO-Welterbe 2001.



Wenig später zog die renommierte Kunst- und Fotografie-Universität der Folkwang-Schule nach. Der weiße Kubus von SANAA Architekten aus Japan setzte eine vielbeachtete Landmarke; Künstler bespielten das Gelände und zuletzt bauten Unternehmen ihre Firmenzentralen auf dem Campus: wie z.B. die Ruhrkohle AG, die ein modernes Bürogebäude mit einem begehbaren Gründach und dem vielleicht schönsten Parkhaus Deutschlands, entworfen von Kadawittfeld Architekten, errichtete.

 

Als wäre das noch nicht genug, ist auch die benachbarte, durch Förderbrücken angebundene Kokerei, ein ein Kilometer langer Riesen-Toaster für die Koksherstellung, heute eine Touristenattraktion. Eine Eisbahn im Winter, ein Schwimmbecken im Sommer und ein speichenloses Riesenrad machen die rostende Ruine zum Ziel von Einheimischen und Touristen. Theater, Konzerte, Festivals wie die Ruhrtriennale und unzählige Veranstaltungen werden hier angeboten, entsprechende Cafés, Restaurants und Bistros inbegriffen.

 

Und die stadtplanerische und architektonische Ertüchtigung geht weiter. Zollverein ist Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur und Teil eines übergeordneten Radweges durch das Ruhrgebiet geworden – und die Kokerei hat eine weitere Veredelung durch das junge Architekturbüro NEW aus Köln erfahren. Fünf mit schwarzem Metall verkleidete Ausstellungscontainer ergänzen den Denkmalpfad und bieten Platz für Projektionen und Animationen.

 

 

www.zollverein.de


Zu BAUKUNST und TICKET B:

Unsere Architektur-Kolumne BAUKUNST entsteht in Kooperation mit TICKET B – einem Team aus Architekten, Professorinnen, Dozenten und Fachautorinnen, die Ihnen spannend und authentisch zeitgenössisches Baugeschehen in Deutschland mit Führungen und Reisen vermitteln. Mit vielschichtigem Bild auf Stadt und Bau lädt TICKET B zu neuen Sichtweisen auf Architektur ein. Neben Entwurf und Konzept werden auch immer gesellschaftspolitische sowie historische Zusammenhänge beleuchtet, die das Thema Architektur auch für den Laien gut erschließen und zeigen was Bauten meist sind: Zeitzeugen. Mehr zu TICKET B, den aktuelle Führungen und Architektur-Reisen u.a. in´s Ruhrgebiet finden Sie hier:

 

www.ticket-b.de


Werden Sie ein Freund des Hauses und erhalten regelmäßig unseren NEWSLETTER.

* indicates required