von Kora Johanns / Ticket B
Der Münchener Stadtteil Neuhausen gehört nicht gerade zu den Touristenzielen der bayerischen Hauptstadt. Das Nachbarviertel, die hippe Maxvorstadt, hat eher kleinstädtischen Charme mit gutbürgerlichen Wohnhäusern, traditionsreichen Geschäften und guten Restaurants. Und dennoch lohnt ein Besuch in Neuhausen – nicht zuletzt aufgrund des ungewöhnlichen Kirchenbaus, der sich in einer ruhigen Nebenstraße zwischen Villen, Bürgerhäusern und profanen Wohnbauten einreiht.
Die Herz-Jesu-Kirche wirkt zunächst wie ein Fremdkörper in der Umgebung. Doch sie hat Tradition und ist nach zwei Vorgängerbauten bereits die dritte Kirche gleichen Namens an diesem Ort. Von 1997 bis 2000 wurde sie als katholische Pfarrkirche nach den Plänen des Architekturbüros Allmann Sattler Wappner errichtet. Unter den vielen Münchner Sehenswürdigkeiten ist sie noch ein Geheimtipp, aber dennoch eine der am häufigsten besuchten Kirchen in der Stadt. Was also macht sie so besonders?
Der moderne Bau macht von außen zunächst nicht so viel her: ein einfacher Glasquader mit einer blauen Front und transparenten Seiten. Die gläserne Haut ist jedoch nur schützende Hülle. Erst beim Betreten der Kirche sieht man den eigentlichen Kirchenraum, der nur aus Holz und Licht zu bestehen scheint. Es gibt nur wenige Gebäude im modernen Kirchenbau mit solch einem überwältigenden Raumeindruck.
Dabei konnten die Architekten keinerlei Erfahrung im Sakralbau vorweisen. Das Münchener Büro hatte seinen Sitz in unmittelbarer Nähe und bis dato nur im Schulbau einen Namen. Vielleicht konnten sie sich gerade darum frei von den gängigen Vorstellungen von einer Kirche machen? Mit ihrer ausgeklügelten Stahl-Glas-Konstruktion hat die äußere Hülle eher Anklänge an den Industrie- und Gewerbebau für den Allmann Sattler Wappner heute bekannt sind.
Das Eingangsportal bilden zwei gebäudehohe Glastore, die sich komplett öffnen lassen. Es sind die größten Kirchentore der Welt – jeder der beiden Flügel wiegt 25 Tonnen. Nur zu besonderen Anlässen werden sie geöffnet: die Vorhalle der Kirche und der Kirchplatz werden dann zu einem Raum. Die Gestaltung der Tore stammt vom Künstler Alexander Beleschenko und bildet den Auftakt zum religiösen Bildprogramm der Kirche. Die Vorderseite der Flügel besteht aus Quadraten. Bei näherer Betrachtung erkennt man ein Muster aus Nägeln, eine stilisierte Keilschrift die auf der Fläche der Tore die Passionsgeschichte nach Johannes zitiert. Auf der äußeren Scheibe sind die Nägel blau, auf der Inneren sind sie transparent auf blauem Grund – auf Entfernung verschmelzen sie zu einer blauen Fläche. Ein wohldurchdachter Empfang mit großer Geste und feinen Details.
In der Regel betritt man die Kirche durch zwei kleine, sog. Schlupftüren im Hauptportal. Im Vorraum zeigt sich, dass die Kirche als Raum im Raum konzipiert ist: innerhalb des Glaskastens befindet sich ein weiterer, diesmal hölzerner Kubus. Zwischen Innen- und Außenhülle verläuft ein schmaler Umgang, der sich im Eingangsbereich zu einem Vorraum weitet. Von dort aus geht es unter einer niedrigen Orgelempore in den weiten hohen Hauptraum. Der Übergang von außen nach innen wird bewusst inszeniert: nach dem niedrigen Durchgang lässt der Anblick des lichtdurchfluteten Kirchenschiffs innehalten. Das Licht scheint von überallher zu kommen – Wände und Decke wirken schwerelos.
Erreicht wird dieser Eindruck durch eine ungewöhnliche Konstruktion: Die vier Wände des Innenkubus haben einen Spaltbreit Abstand voneinander und erscheinen somit wie freistehende Scheiben. Auch die abgehängte Decke liegt nicht auf den Innenwänden auf. Statt dunkler Ecken und Winkel, hell erleuchtete Fugen.
Der hölzerne Kubus besteht aus über 2.000 senkrecht stehenden, verschieden geneigten Holzlamellen – wobei die Helligkeit zum Altar hin kontinuierlich zunimmt. Gegenläufig dazu verhält sich die Transparenz der gläsernen Außenwände. Im Altarbereich sind sie gänzlich opak und schützen vor Einblicken, während sie im Vorraum aus Klarglas bestehen. Ein Kniff, der mit Offenheit und Verschlossenheit spielt und den Raum zu jeder Tageszeit anders wirken lässt. Den Raumabschluss auf der Altarseite bildet ein wandhoher metallgewebter Vorhang aus Tombak des Künstlerpaares Lutzenberger + Lutzenberger. Ein raumhohes Kreuz ist in das Gewebe eingearbeitet. Je nach Sonnenstand ist es kaum wahrnehmbar oder hebt sich dunkel von dem Hintergrund ab. Schlichter geht es kaum – keine störenden Schmuck- oder Bildelemente, sondern Raum für Gedanken.
Wendet man sich um, fällt der Blick auf die Orgelempore, unter der man den Raum betritt. Der eingestellte Kasten aus Beton wurde von der Künstlerin Anna Leonie als monochromes Wandgemälde gestaltet: ein Hintergrund wie ein schwarzes Loch, vor dem sich die silberne Orgel optisch stark abhebt. Durch das Einfassen der Orgel in einen eigenen Resonanzraum konnte die Akustik verbessert und auf ein sichtbares Orgelgehäuse verzichtet werden. Dem Raumeindruck kommt das sehr zu Gute.
Ohnehin folgt die Innenraumgestaltung dem Motto „Weniger ist mehr.“ Nebenräume wie Gemeindesaal und Sakristei wurden unter dem Kirchenraum angeordnet. Statt eines Podests fällt der Boden zum Altar hin ab. Das Mobiliar und die liturgische Ausstattung wurden ebenfalls schlicht gehalten. Boden und Altar bestehen aus Kalkstein. Taufbecken, Taufstein und Tabernakel wurden aus türkischem Alabaster gefertigt. Das helle Holz der Wände vermittelt ein einladendes Gefühl der Geborgenheit. Alles ist detailgenau verarbeitet – bis hin zu den klappbaren Sitzlehnen der Bänke. Die sorgfältige Planung und Ausführung lässt den Raum in den Hintergrund treten und lenkt den Fokus auf das Wesentliche: Stille und Licht.
Die Herz-Jesu-Kirche mag kein klassischer Anziehungspunkt in München sein – sie ist aber unbedingt einen Besuch wert! Sie lässt das Herz aufgehen und gibt dem Wort Transzendenz eine neue Bedeutung. Mehr solche Kirchen!
Alle Fotos © Sharon Berkal
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