BAUKUNST: Olympiagelände München

Die heiteren Spiele von München 1972.

von Thomas Krüger / Ticket B

Wenn wir heute über die Olympischen Spiele in München 1972 reden, bleibt vor allem die schreckliche Erinnerung an die Geiselnahme von 11 israelischen Sportlern durch 8 palästinensische Terroristen der Organisation “Schwarzer September”. Der schreckliche Vorfall hat sich dieses Jahr im September zum 50ten Mal gejährt. Dieses furchtbare Ereignis, bei dem alle Sportler und fünf Geiselnehmer durch einen dilettantischen Einsatz der Polizei ums Leben kamen, überdeckt eine der epochalen Sternstunden der Architektur- und Stadtbaugeschichte.

 

“The games must go on” verkündete der damalige IOC-Präsident Avery Brundage nach einer kurzen Unterbrechung der Olympischen Spiele, um der Welt zu zeigen, dass sich die olympische Idee nicht durch Terror und Gewalt zerstören lasse.

 

Die Architektur der Zeltdächer, die das hügelige Parkgelände überdecken, standen seinerzeit für die heiteren Spiele, die der Welt zeigen sollten, dass Deutschland nach den Olympischen Spielen 1936 auch städtebaulich wieder in den Schoß der internationalen Gemeinschaft zurückgekehrt ist. Wobei der Begriff „Städtebau“ eher durch Landschaftsarchitektur ersetzt werden sollte, denn die Einbindung der großen Hallen und Stadien in ein grünes Parkkonzept mit Berg und See steht eher für eine Garten- und Parklandschaft als für steinerne Hochbaumaßnahmen.

 

Das Büro Behnisch und Partner hatte den Wettbewerb für die bauliche Realisierung der Olympischen Spiele 1967 gewonnen. Das Motto: „Olympische Spiele im Grünen, Olympiade der kurzen Wege, Fest der Musen und des Sports, Spiele für die Jugend.“


Das Büro Behnisch und Partner hatte den Wettbewerb für die bauliche Realisierung der Olympischen Spiele 1967 gewonnen. Das Motto: „Olympische Spiele im Grünen, Olympiade der kurzen Wege, Fest der Musen und des Sports, Spiele für die Jugend.“

 

Vorbild der Entwürfe waren zeltartige temporäre Ausstellungsbauten, die von Rolf Gutbrod und Frei Otto in Montreal realisiert wurden. Markantes Zeichen für die neue Münchener Anlage auf dem Oberwiesenfeld, einem ehemaligen Exerzierfeld, waren die riesigen, lichtdurchlässigen Zeltkonstruktionen aus Plexiglas, die von 80 Meter hohen Pylonen abgehängt waren. Die Architekten gruben die notwendigen Großbauten zudem halb in die Erde, sodass eine menschenfreundliche „Nicht-Architektur“ entstand. Keine monumentalen Achsen oder einschüchternde Riesenbauten, wie sie Adolf Hitler in Berlin errichten ließ, sondern eine Landschaft mit sanften Hügeln und Mulden für Stadion und Hallen – ohne Überdeckung und ohne klassische Hausdächer, die die dunkle Zeit der Vergangenheit vergessen machen sollten.


Das Modell dazu wurde aus Sand gebaut. Die Gebäude sind nicht an der Reißschiene entstanden, sondern wurden organisch geformt. Der Landschaftsarchitekt Günter Grzimek formte einen Olympiapark der kurzen Wege mit einem aufgestauten See und integrierte einen vorhandenen Schuttberg. Der ebenfalls schon vorhandene Fernsehturm wurde als vertikale, 290 Meter hohe Landmarke zum Olympiaturm – mit Drehrestaurant und Alpensicht.

 

Das Modell der Dachkonstruktion wurde aus Holzstäben und Nylonstrümpfen gefertigt, Materialien mit der die neue Leichtigkeit simuliert wurde. Wie ein Regenschirm, so erklärte es Günter Behnisch später, sollten sich die markanten Dächer in die Landschaft schmiegen.

 

Dieser Donnerschlag in der “Tragwerksgeschichte” war nicht unumstritten – und so wurden Ingenieure der anderen Wettbewerbsbeiträge, wie Leonhard und Andrä, Jörg Schlaich und schließlich als Berater Frei Otto hinzugezogen. Mutig entschloss man sich mit Mitteln der Modellstatik – Computerprogramme waren noch nicht erfunden – zur Umsetzung der gewagten Konstruktion, die bis heute unbeschadet ein Stadion mit 60.000 Plätzen überspannt. Seit 1997 steht die Anlage unter Denkmalschutz, ist instandgesetzt und saniert – und ein fester Bestandteil des Münchener Sport- und Veranstaltungslebens.

Zum ganzheitlichen Konzept gehörte neben den Sportstätten auch das olympische Dorf, das Unterkünfte für 12.000 Sportlerinnen und Sportler bereitstellte. Strikt nach Frauen und Männer getrennt, entstanden große Terrassenhäuser für die Männer und ein modernes Dorf mit über 800 Bungalows für die Frauen. Das lebendige Quartier mit Ladenstraßen und Freizeiteinrichtungen sollte nach den Olympischen Spielen als hochwertiges Wohnquartier weiter genutzt werden. Die Architekten Heinle und Wischer entwarfen als weitere Preisträger des Wettbewerbs die Terrassenhäuser, Günther Eckert und Werner Wirsing waren für die Bungalows und Reihenhäuser verantwortlich.

 

Doch zunächst geriet die künstliche Satellitenstadt in Misskredit, die Betonwüste wurde als hässlich und monoton empfunden. Die kleinen Reihenhäuser des „Frauendorfes“ aus vorfabrizierten Betonelementen wiesen baukonstruktive Mängel auf. Feuchte Wände und Schimmel führten dazu, dass im Einvernehmen mit den Denkmalbehörden und unter Einbeziehung der Ursprungsarchitekten eine Generalsanierung vorgenommen werden musste. 2006 schließlich wurden die mangelhaften Kleinhäuser bis auf 12 Stück abgerissen. Die Architektinnen und Architekten von Bogevischs Büro erhielten den Auftrag, sie mit kleinerem Achsmaß von 3,15 Meter und 18,8 Meter Größe neu zu errichten. Statt 800 stehen nun 1052 Kleinhäuser auf dem gleichen Fußabdruck der Siedlung. Als „Studentendorf“ erfreuen sie sich heute großer Beliebtheit. Kennzeichen sind die bunten Bemalungen, die die Studierenden selbst gestalten dürfen und die mittlerweile fortgeschrittene Begrünung.


Es gibt noch einen dritten Aspekt, der die Spiele von 1972 geprägt hat. Der Ulmer Designer Otl Aicher entwarf ein international verständliches, optisches Leitsystem mit einer Serie von Piktogrammen. In den Farben Hellblau, Grün, Gelb, Orange und Blau, ergänzt durch Silber und Weiß, prägte er als Gestaltungsberater von der Uniform, über den Lichtmast bis zur Eintrittskarte die Corporate Identity der Spiele. Und nicht zuletzt entwarf er das Maskottchen Waldi – damals war der Dackel Deutschlands beliebteste Hunderasse – dem er ebenfalls ein buntes Kleid anzog.

Bis heute besticht die gesamte Anlage durch seine hohe Aneignungsqualität und menschlichen Maßstab. Sie lässt sich aus dem Münchener Park- und Stadtleben nicht mehr wegdenken. Die vorbildlich transparente Architektur von Behnisch und seinen Partnern hat die Zeit überdauert und transportiert nachhaltig ein durchweg positives und optimistisches Menschenbild sowie den Geist der Demokratie, der sich auch durch Terror und Gewalt nicht zerstören ließ.

Für alle, die noch tiefer in die Materie eintauchen wollen, gibt es hier noch ein paar Tipps.

1. Ein kostenloser Audioguide zur Erkundung des Olympiageländes: HIER

2. Architekturführungen durch das Olympiagelände: DORT

3. Mehr Infos zum Studentendorf: DA

4. Desweiteren gibt es jeweils in der Pinakothek der Moderne sowie im Stadtmuseum München noch bis Ende 2022 eine begleitende Ausstellung.

5. Im Prestel Verlag ist ein Buch zu Otl Aicher erschienen. Hier zu erwerben.



Zu BAUKUNST und TICKET B:

Unsere Architektur-Kolumne BAUKUNST entsteht in Kooperation mit TICKET B – einem Team aus Architekten, Professorinnen, Dozenten und Fachautorinnen, die Ihnen spannend und authentisch zeitgenössisches Baugeschehen in Deutschland mit Führungen und Reisen vermitteln. Mit vielschichtigem Bild auf Stadt und Bau lädt TICKET B zu neuen Sichtweisen auf Architektur ein. Neben Entwurf und Konzept werden auch immer gesellschaftspolitische sowie historische Zusammenhänge beleuchtet, die das Thema Architektur auch für den Laien gut erschließen und zeigen was Bauten meist sind: Zeitzeugen. Mehr zu TICKET B, den aktuelle Führungen und Architektur-Reisen u.a. nach München finden Sie hier:

 

www.ticket-b.de


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