von Sharon Berkal.
Vor zwanzig Jahren habe ich meinen Koffer in Berlin abgestellt. Nach meinem Studium in London war dies der Ort in Deutschland, der mir am meisten "Großstadt" versprach... Und wissen Sie was, bis heute werde ich nicht enttäuscht. Ich liebe Berlin mit und gerade wegen seiner Ecken und Kanten, der Grandezza alter Tage und seinen Wunden in den Häuserreihen, die nicht selten sehr häßlich gestopft sind. Die schiere Größe der Stadt lässt einen immer wieder Neues entdecken. Nach ein paar Tagen in meiner schönen und fast makellosen Geburtsstadt München, vermisse ich sogar den Dreck und den rauen Ton der Berliner. Berlin ist eben das echte Leben, auch wenn ich finde, dass die Stadt seit einigen Jahren ihrem Potential hinterherhinkt. Verkauft wird seit Jahrzehnten das ewig gleiche Image von Underground, Clubkultur und ein Leben ohne Konventionen. Leider versteckt sich hinter dem gefeierten Anti-Stil dann doch oft... nur Stillosigkeit.
Ich nehme Sie heute mit auf ein Wochenende abseits des Easyjet-Touristen: nach West-Berlin. Mein West-Berlin. So oder so ähnlich verbringe ich meine Wochenenden in der Stadt. Winken Sie mir, wenn Sie mich sehen. Meine Empfehlungen sind nicht laut oder ultracool, aber immer voller Seele!
Natürlich kann ich Sie nicht alle (eigentlich niemanden) bei mir zu Hause beherbergen, damit Sie dieses Gefühl von Berliner-Altbau-Vier-Meter-hohe-Decken-Marlene-und-die Hilde-waren-auch-schon-da erleben, so dass ich Sie für unser gemeinsames Wochenende im HENRI HOTEL unweit vom Ku'damm unterbringe. (Bezahlen müssen Sie leider selbst.)
Situiert in einem herrschaftlichen Gründerhaus ist das HENRI ein Vintage-Design-Hotel par excellence. Historistisches Interieur und liebevolle Details gibt es im ganzen Haus zu entdecken. Ohne aufdringlich zu sein, erzählt das HENRI Geschichten aus vergangenen Zeiten und schafft so Atmosphäre. Es gibt sogar zwei Zimmer, die mit originalen Möbeln des legendären (und geschlossenen) Hotel Bogota ausgestattet sind.
Checken Sie ein, machen sich frisch und los geht es zu unserer ersten Station: die Neue Nationalgalerie. Nach jahrelanger Sanierung ist das Gebäude von Mies van der Rohe am Potsdamer Platz ab dem 22. September wieder für das Publikum geöffnet und MUSS besucht werden.
Danach flanieren wir langsam über die Potsdamer Straße in Richtung Abendessen. Noch haben wir genug Zeit, um in das ein oder andere Geschäft oder eine der vielen Galerien links und rechts des Weges zu sehen. In den letzten Jahren hat sich die Potsdamer Straße im Bezirk Tiergarten zu einem der Hotspots für Mode und Kunst gemausert. Nicht zu verpassen sind die MERCATOR-Höfe: Die Berliner Hutdesignerin FIONA BENNETT hat hier Ihr wunderschönes Atelier, das Modelabel ODEEH ist mit seinem Laben im Innenhof zu finden und im Concept Store von ANDREAS MURKUDIS können Sie sich arm shoppen.
Und wenn Sie sich noch in der Galerie von ESTHER SCHIPPER ein Kunstwerk gegönnt haben, sind Sie jetzt reif für einen Drink. Dafür empfehle ich Ihnen die VICTORIA BAR. Die Happy Hour zwischen 18:00 und 21:00 Uhr ist immer gut besucht, aber halten Sie sich bei den Erdnüssen zurück, denn unser Höhepunkt des Abends steht noch bevor: das ABENDESSEN! Ich habe Ihnen dafür in Gedanken einen Tisch im OH, PANAMA reserviert. In einem tollen Hinterhof gelegen, serviert das Restaurant im sehr schick gestalteten Ambiente deutsche Tapas mit Twist. Ob Schweinebraten mit geschmortem Radicchio, ein Dip aus Kartoffelpüree mit Petersilienöl oder Limonade aus fermentierter roter Beete, die Karte ist interessant und abwechslungsreich. Ich wünsche einen guten Appetit!
Nach Hause in's HENRI kommen sie ganz bequem mit der U1 von der Kurfürstenstraße.
PS.: Falls Sie Ihren Nachmittag mit einer Currywurst starten wollen, empfehle ich Ihnen nur, die Betonung liegt auf NUR, den Imbiss WITTY'S am Wittenbergplatz vor'm KaDeWe. Egal was Sie sonst gehört oder gelesen haben, vertrauen Sie meinem sensiblen Magen.
Starten Sie Ihren Tag mit einem gemütlichen Frühstück im Damenzimmer des HENRI HOTELS. Das Frühstücksbüffet ist in der alten Küche der Etage angerichtet und wird das Herz jeden Fliesenliebhabers höher schlagen lassen. Der Gebäudekomplex, in dem das HENRI residiert, ist komplett unbeschadet durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg gekommen. Ergo sum: Fast alles, was Sie hier sehen, ist noch original.
Für den Vormittag habe ich zwei Vorschläge für Sie: Entweder Sie buchen eine private Architekturführung mit unseren Freunden von TICKET B durch z.B. die Waldsiedlung in Zehlendorf oder die Siemensstadt von Herrn Gropius & Co. Oder Sie lassen sich erst einmal über die Mutter aller Flohmärkte treiben: den Trödelmarkt am 17. Juni. Den ein oder anderen antiken Schatz werden Sie als Mitbringsel sicher finden.
Egal wofür Sie sich entscheiden, zum Mittag kehren Sie im neu renovierten CAFE AM NEUEN SEE ein. Machen Sie es sich unkompliziert im Biergarten oder a là carte im Restaurant. Mit Blick auf den kleinen See und seine Leihbötchen ist dies ein wahrlich entspanntes Stück Berlin. Zum Nachmittag gibt es dann schöne Frauen in den Fotografien von HELMUT NEWTON im MUSEUM FÜR FOTOGRAFIE am Zoo zu sehen. Seit 2004 zeigt die Helmut Newton Foundation im Erdgeschoss des Hauses Exponate aus dem Leben des legendären Fotografen aus Berlin.
Am Abend geht es zu einem frühen Dinner in die PARIS BAR, bevor wir in die Oper, besser gesagt, in die DEUTSCHE OPER gehen. 1961 nach vollständiger Zerstörung wieder eröffnet, ist sie seither Berlins größtes sowie Deutschlands zweitgrößtes Musiktheater – und eines der modernsten in Europa. Das geradlinig-elegante Gebäude des Architekten Fritz Bornemann (u. a. auch die Amerika-Gedenk-Bibliothek oder das Haus der Berliner Festspiele) ist ein Fest für das Auge und bietet auf 1.859 Plätzen optimale Sichtverhältnisse und beste Akustik.
Unseren Absacker und einen kleinen Mitternachtssnack nehmen Sie dann im DIENER TATTERSALL ein. Von dort kommen Sie in jeder Kondition zu Fuss zurück ins HENRI.
Eine kleine Anmerkung zu beiden Restaurants: Erwarten Sie von den Kellnern keine Liebe auf den ersten Blick! Hier gehen auch die Berliner selbst gern hin und müssen sich durch jahrelange Treue die Gunst sowie das Anrecht auf die besten Plätze erkämpfen. Geniessen Sie einfach aus der zweiten Reihe den Blick auf's Spektakel.
Lassen Sie uns den Sonntag im Grünen verbringen: mit Kultur, einem guten Kaffee und einem langen Spaziergang! Wir starten nach Ihrem letzten Frühstück im HENRI mit einem Besuch des BRÜCKE MUSEUMS in Dahlem. Das Museum ist, Sie ahnen es, der Künstlergruppe BRÜCKE mit Malern wie ERNST LUDWIG KIRCHNER, MAX PECHSTEIN oder EMIL NOLDE gewidmet. 1967 vom Berliner Architekten WERNER DÜTTMANN gebaut, war die naturnahe Lage am Rande des Grunewalds beabsichtigt.
Für die BRÜCKE war die Natur als Arbeitsort stets gleichbedeutend mit dem Atelier und wichtiges Motiv in ihrer Kunst. Und so ziehen die BAUHAUS-artigen Museumsräume auch immer ihre Umgebung mit ein: Sie gruppieren sich um einen Innenhof und ermöglichen durch bodentiefe Fenster Ausblicke in die Waldlandschaft. Auch der moderne Flachbau war von DÜTTMANN bewusst gewählt – als ästhetischer Kontrast zum Nachbargebäude, dem KUNSTHAUS DAHLEM. Im ausladenden ehemaligen Ateliergebäude, das die Nationalsozialist*innen für den Bildhauer Arno Breker gebaut hatten, müssen Sie zumindest einen Kaffee trinken, wenn Sie nicht auch das Museum dort besuchen wollen. Bevor Sie uns und mein geliebtes Berlin wieder verlassen, vertreten Sie sich noch einmal die Beine im Grunewald. Auf seinen staatlichen 4.500 Hektar gibt es viel zu entdecken. Aber davon, liebe Freunde des Hauses, erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Kommen Sie gut nach Hause und vergessen Ihren Koffer nicht!
Mercator Höfe
(Fiona Bennett / Odeeh / Murkudis)
Potsdamer Straße 77-87
10785 Berlin
Restaurant Oh, Panama
Potsdamer Straße 91
10785 Berlin
Telefon: +49 (0)30 983 208 435
Cafe am Neuen See
Lichtensteinallee 2
10787 BerlinTELEFON: +49 (0)30 254 493 21
Museum für Fotografie
Jebensstraße 2
10623 Berlin
Brücke-Museum
Bussardsteig 9
14195 Berlin